Als Unternehmensberater musst du innere und äußere Konflikte austragen und zu deinen Empfehlungen stehen können. Aufgrund seiner Erfahrungen hält Christoph Hohmann Integrität für einen entscheidenden Karriere-Faktor im Consulting.
Der Beruf des Beraters birgt verschiedene Rollen- und Zielkonflikte: Als Unternehmensberater muss es dein Anspruch sein, gute inhaltliche Beratungsarbeit zu leisten, in deren Ergebnis du dich von niemand vereinnahmen oder instrumentalisieren lassen darfst. Das heißt, dass du auch unangenehme Empfehlungen aussprechen können musst. In der Consulting -Welt geht es oft um konsequenzenreiche Entscheidungen und damit auch um große Firmenpolitik und persönliche Interessen hochrangiger Leute. Im folgenden Erfahrungsbericht schildert Christoph Hohmann sein Konfliktmanagement als Berater.
Integrität als Karriere-Strategie
Die Reflexion über den eigenen Beratungsansatz zeigte Christoph Hohmann, dass Integrität im Consulting stets ein kritischer Erfolgsfaktor war oder wenigstens gewesen wäre: “Zur Lösung der Rollen- und Zielkonflikte als Unternehmensberater bedarf es Integrität – Integrität in der Methodik, kaufmännische Integrität und vor allem Integrität im Umgang mit den vom Beratungsprojekt betroffenen Menschen und deren Informationen.”
Nach bestem Gewissen beraten
In der Unternehmensberatung gibt es oft ja nicht die eine, wissenschaftlich belegbare Wahrheit, sondern es geht um Deutungen, um Interpretationen und Einschätzungen. Diese musst du als Berater nach bestem Wissen und Gewissen treffen und dann auch vertreten können – und das geht nur, wenn du dich nicht von den Partikulärinteressen deiner Kunden oder Vorgesetzten beeinflussen lässt. Des Weiteren bietet die nach wie vor etwas nebulöse Welt der externen Unternehmensberater viele Möglichkeiten kurzfristiger Gewinnoptimierung, die nicht im Interesse des Kunden sind und damit auch nicht im langfristigen Interesse der Unternehmensberatung sein sollten, die nach Christoph Hohmanns Erfahrungen aber dennoch übliche Praxis sind.
Klug aus Erfahrung: Anforderungen an Berater
Der folgende Erfahrungsbericht von Christoph Hohmann ist ein Auszug aus dem Kapitel „Integrität – kritischer Faktor in der Managementberatung“ in Gute Beratung zwischen Hybris und Bescheidenheit. squeaker.net veröffentlicht diesen Erfahrungsbericht, weil wir dir als Bewerber einen authentischen Einblick in den Berater-Alltag bieten möchten. Natürlich handelt es sich um eine subjektive Sicht auf die Consulting-Branche, die andere ganz anders erlebt haben oder erleben werden. Was kannst du als angehender Berater nun also aus Christoph Hohmanns Erfahrungen lernen? Sein Bericht hebt zwei wesentliche Anforderungen der Berater-Tätigkeit besonders deutlich hervor:
- Sei dir deiner Verantwortung bewusst, die du jeden Tag als Berater gegenüber Arbeitnehmern, Kunden, Kollegen und Vorgesetzten trägst.
- Habe realistische Erwartungen an die Belastung im Berater-Alltag durch viel Verantwortung, lange Arbeitszeiten und häufiges Reisen.
ntegrität gegenüber Kollegen und Kunden
Mein erstes richtiges Projekt war eines von jenen, deren Intensität selbst den an sich nicht arbeitsscheuen Unternehmensberatern mächtig Respekt einflößt. Beauftragt wird diese Art von Projekten von einer der wenigen Berufsgruppen, die noch länger im Büro sitzt als Unternehmensberater – den sogenannten Private Equity-Firmen, im Volksmund auch „Heuschrecken“ genannt. Hier geht es um Firmenübernahmen und Unternehmensberater werden engagiert, um die sogenannte „Commercial Due Diligence“ durchzuführen. Das bedeutet, dass wir innerhalb kürzester Zeit und bei denkbar schlechter Datenlage eine Einschätzung abgeben sollten, „ob sich der Deal lohnt“, und wie viel Potenzial in dem Übernahmekandidat noch steckt. Ich will hier überhaupt nicht auf Sinn oder Unsinn, auf wirtschaftlichen Mehrwert oder gesellschaftliche Verwerflichkeit solcher Übernahmen eingehen – dazu wurde schon an anderer Stelle viel zu viel geschrieben. Ich will auch nicht auf die Work Life Balance-Bilanz als Berater eingehen, auf die Nacht- und Wochenendschichten. Mir geht es um die Integrität im Umgang mit Projekten, deren Ergebnisse nicht nur große finanzielle Auswirkungen haben, sondern vor allem auch das berufliche Schicksal vieler Arbeitnehmer bestimmen.
Chart-Karaoke im Consulting
In der Consulting-Branche gibt es sogar einen eigenen Ausdruck für das unvorbereitete Präsentieren: „Chart-Karaoke“, d.h. ähnlich wie beim Karaoke singen, liest man blitzschnell, was auf der nächsten Seite („Chart“) der Präsentation steht und versucht, das Ganze überzeugend und in einem Fluss vorzustellen.
Einen ersten Indikator für den Stellenwert von Integrität in diesem speziellen Projekt erhielt ich gleich zu Anfang, und zwar auf dem Weg zu einem der ersten Treffen mit dem Kunden und allen anderen beratenden Parteien (z.B. Anwälten, Steuerexperten). Der Partner, der das Projekt akquiriert hatte, flog mit mir und der Projektleiterin nach Frankfurt, um diesen Termin wahrzunehmen. Wir waren beide ganz neu in der Firma und wussten zu dem Zeitpunkt herzlich wenig über das Projekt – er wollte uns unterwegs „briefen“ und sollte ja außerdem dabei sein, um die Verhandlungen zu führen und ein erstes Grobkonzept vorzustellen. In Frankfurt angekommen eröffnete er uns, dass er jetzt einen Weiterflug nach New York City habe, rief den Kunden an, entschuldigte sich mit dem Hinweis auf eine plötzliche Magen-Darm-Geschichte und wünschte uns mit einem Grinsen viel Erfolg für das Meeting. Dreißig Minuten später standen wir also vor ca. 20 Experten für Firmenübernahmen und stellten ein Grobkonzept vor, das mehr grob als Konzept war und uns dazu noch völlig unbekannt. Im weiteren Verlauf dieses Projektes passierten noch ähnlich Dinge. Zum Beispiel wurde ich, der bis heute keinerlei juristische Vorbildung hat, phasenweise als ausgewiesener Kartellrechtsexperte vorgestellt, eingesetzt und vor allem mit saftigem Tagessatz dem Kunden in Rechnung gestellt.
Die Angst vor der Kündigung
Wie bin ich damit umgegangen? Um es kurz zu sagen: In meiner Ohnmacht habe ich zunächst mitgespielt – d.h. ich habe geblendet – weil ich das Ganze nicht auffliegen lassen wollte. Ich sagte mir, dass ich dies tue, um der Beratung nicht zu schaden und um das Projekt nicht zu gefährden. In Wirklichkeit tat ich dies nur, um interne Sanktionen (bis hin zur Kündigung) zu vermeiden. Ein geflügeltes Wort besagt, eine der wichtigsten Fähigkeiten eines Unternehmensberaters sei „überzeugendes Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit“. Und die größte Gefahr dabei ist, dass man sich irgendwann daran ergötzt, damit durch zu kommen. Auch mir ging es phasenweise so und ich lief Gefahr, meine Integrität zu verlieren.
Welche Empfehlung kannst du als Berater vertreten?
In einem anderen Fall sollte ich bei einer geplanten Firmenübernahme analysieren, welches „Upside“-Potenzial in dem Übernahmekandidaten noch stecke, d.h. wie viel mehr Umsatz und Gewinn noch drin wären, wenn erst einmal das alte, offensichtlich miserable Management gegen das neue ausgetauscht sein würde. Leider würden auf absehbare Zeit kaum neue Märkte/Kundensegmente erschließbar sein, würden bestehende Kunden eher nicht deutlich größere Mengen bestehender Produkte abnehmen und auch die „Produktpipeline“ ließ keine nennenswerten Impuls zu erwarten. Das wollte keiner hören, denn nur mit einem ordentlichen Upside würde die Übernahme, die man ja im Grunde schon entschieden hatte, ökonomisch sinnvoll und vertretbar sein. In solchen Fällen war es üblich, Interviews (mit dem genannten, miserablen Management, aber auch mit Geschäftskunden) zu führen und Analysen zu fahren, um das Upside zu bestimmen bzw. um Anhaltspunkte für die gewünschten Ergebnisse finden zu können. Wenn das – wie öfters mal – nicht gelang, dann wurden Annahmen getroffen. Bei diesen Annahmen bezog man sich wahlweise, aber gleichermaßen nebulös auf „Wettbewerbsdaten“, „Erfahrungswerte“ oder „Trendanalysen“.
“Guesstimates” statt guter Beratung
Intern wurden solche Annahmen zynisch „Guesstimates“ genannt – eine Wortschöpfung, die die beiden schwammigen Begriffe „guess“ und „estimate“ durch Verschmelzung belastbarer und bedeutungsschwerer wirken lassen soll.
In einem dieser Interviews sprach ich mit dem bisherigen Vertriebsdirektor und versuchte herauszufinden, was dieser erfahrene Profi mit seinen 20 Jahren Berufserfahrung in dieser Industrie, von der ich vorher noch nie was gehört hatte, übersehen haben oder welche Absatzchancen er möglicherweise zu konservativ eingeschätzt haben mochte. Kurz: Es gab nichts. Bislang war diese Firma allem Anschein nach recht ordentlich geführt worden. Man hatte eine solide Kundenbasis, eine vernünftige Akquisestrategie und eine realistische Absatzplanung. Als ich dann anfing, kreativ zu werden, um doch noch ein wie immer geartetes Upside ausweisen zu können, fragte mich der Vertriebsdirektor, ob ich das wirklich ernst meinte. Man könne ja alle möglichen Annahmen treffen, aber die Frage sei doch, was vertretbar sei. Und damit hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen. Es gibt in diesen Situationen natürlich nicht die eine, wissenschaftlich belegbare Wahrheit, sondern es geht um Deutungen, um Interpretationen und Einschätzungen. Und da die Interviewpartner meist weder das Protokoll der Gespräche noch die Ergebnisse der Analyse zu sehen bekommen, liegt die Deutungshoheit beim Unternehmensberater. Und dies ist dann wieder eine Frage seiner Integrität. Natürlich setzt er seinen eigenen guten Ruf auf´s Spiel, wenn er hier völlig überzogenen Annahmen trifft, die sich hinterher als haltlos erweisen. Aber ob eine feindliche Firmenübernahme nachhaltig erfolgreich ist, oder nicht, und ob das in Aussicht gestellte Upside realisiert werden kann, oder nicht, hängt von so vielen Faktoren ab, dass es im Nachhinein sehr schwierig (und damit unrealistisch) ist, den an der „due diligence“ beteiligten Berater zur Rechenschaft zu ziehen. Unter diesen Umständen ist es – allein schon spieltheoretisch – sinnvoller, großzügig zu rechnen, wenn man wie gesagt weiß, dass das Ganze sowieso schon entschieden ist.
Eigene Entscheidungen treffen
In diesem Zusammenhang war es zur Abwechslung mal ein Vorteil, dass man als Berater üblicherweise ein Nomadenleben führt und die Projekte am Standort des Kunden durchführt. Die jeweiligen Directors sind meist weit weg und solange man „liefert“, ist das lokale Projektteam weitgehend unabhängig.
Der Druck von oben
Dennoch habe ich mich in diesem Fall den Zwängen meiner Zunft und dem mehr oder weniger expliziten Druck des verantwortlichen Partners wiedersetzt und eine eher konservative Abschätzung des Upside ausgewiesen. Dies stieß auf heftigen Wiederstand im Projektteam. Insgesamt stand damit die erwartete eindeutige Kaufempfehlung in Frage. Zum Glück gibt es bei einer solchen „due diligence“ auch immer noch einen zweiten „work stream“, der die „downside“-Potenziale (d.h. die Kostensenkungsmöglichkeiten, die noch in dem Übernahmekandidaten stecken) errechnet und der Kollege hatte besser gearbeitet, so dass die erwartete Kaufempfehlung mühelos gegeben werden konnte. Das Ganze ist schon eine Weile her, aber ich habe da und dort die Lust und das Interesse daran verloren, nachzuhalten, was aus dieser feindlichen Übernahme wohl geworden sein mag, und ich weiß es bis heute nicht.
Die eigne Motivation für den Einstieg als Berater prüfen
In der Reflexion meines Konfliktmanagements als Unternehmensberater wurde und wird mir immer wieder die eigene Ohnmacht bewusst. Ich habe zwar immer versucht, in den Bereichen, die ich selbst beeinflussen konnte, integer zu handeln. Das bedeutete unter anderem, fremde Ideen oder Problemlösungsansätze (zum Beispiel von Interviewpartnern aus der Kundenorganisation) nicht als die Eignen zu verkaufen – eine ebenfalls übliche Praxis. Ich habe auf meinen Projekten keine erfundenen Markt- und Wettbewerbs-informationen aus der PROOMA Datenbank (= „Pulled-right-out-of-my-ass“, d.h. Erstunken-und-Erlogen-Datenbank) verwendet und auch keine Ergebnisse geschönt, um eine vom Auftraggeber gewünschte Aussage zu verifizieren. Und ich habe auch keinem Kunden irgendwelche Praktikanten zu einem vierstelligen Tagessatz als „Junior Berater“ verkauft. Aber all das habe ich gesehen und miterlebt.
Berater-Witz
“Ein Unternehmensberater ist jemand, der dich um deine Uhr bittet, dir sagt, wie spät es ist, die Uhr einsteckt und dir dann eine Rechnung dafür schickt.” Hast du den Berater-Slang drauf? Teste im squeaker.net-Quiz: Consulting-Lingo, ob du dich noch aufschlauen musst oder als whizz kid schon auf dem besten Weg zum C-Level bist. Weitere humorvolle Einblicke in die Consulting -Branche findest du bei Beratersprech.
Eine meiner tiefsten Überzeugungen besagt: „love it, change it, or leave it“. Die im Arbeitsalltag einfach zu häufigen Angriffe auf meine persönliche, professionelle und moralische Integrität erlaubten es mir nicht, diesen Job zu lieben. Leider sah ich mich außerstande, dem hehren Anspruch – das System von innen heraus zu verändern –, gerecht zu werden. Der Grundtenor lautete „Wem es nicht gefällt, der kann ja gehen“. Und mit „es“ war alles gemeint: Arbeitsbelastung, Leistungsdruck, Geschäftsgebaren etc. Die Kernaussage ist: Ist es zu schwer, bist du zu schwach. Daher entschied ich mich für die dritte Option und bin gegangen. Ich habe in der Zeit als Unternehmensberater sehr viel gelernt und möchte nicht undankbar wirken. Ich fand nicht jeden Tag toll, aber ich möchte die Zeit nicht missen. Es war eine harte, aber sehr gute Ausbildung und das, nachdem/obwohl ich ja schon eine Weile gearbeitet hatte. Ich habe an Methodenwissen und Prozessorientierung, an Struktur und Analytik dazugewonnen, aber ich habe auch erkannt, was an diesem Beruf nicht zu mir passt. Diese Erkenntnisse begleiten mich weiterhin und schärfen meine Achtsamkeit hinsichtlich meines Arbeitsumfelds und meines Verhaltens. Nur über intensive Reflexion der eigenen Arbeit, des eigenen Verhaltens und der eigenen Werte ist persönliches Wachstum möglich.
Nach einigen Jahren in der Automobilindustrie stieg der Autor Christoph Hohmann im Jahr 2005 in eine renommierte Unternehmensberatung ein und arbeitete dort knapp 2 Jahre als Associate. Anschließend wechselte er in die Inhouse-Beratung eines Autoherstellers und arbeitete dort fast 4 Jahre (zuletzt als Principal), bevor er eine leitende Linienfunktion in dem Konzern übernahm. Er lebt mit seiner Frau und seiner Tochter in Prag und Berlin.