Wie wird sich die Beratung in den nächsten Jahren entwickeln? Künstliche Intelligenz und Digitalisierung beherrschen dann zwar den Markt – doch erfolgreiche Beratung funktioniert nur mit der Kombination aus künstlicher und emotionaler Intelligenz. Disruptive Technologie verlangt smarte und sympathische Vermittler. Ein Blick in die Kristallkugel: squeaker.net wagt anhand aktueller Studien die Vorschau.
Werden wir durch KI unsere Jobs verlieren? Nun ja. Durch die Automatisierung verändert sich fast jeder Arbeitsbereich. Nach manchen Prognosen könnte in 30 Jahren die Hälfte der klassischen Arbeitsplätze auf diese Weise obsolet geworden sein. Doch eins nach dem anderen. Nach einer Studie von PwC sollte der Anteil von Künstlicher Intelligenz an der Weltwirtschaft im Jahr 2030 circa 15 Billionen Dollar betragen. Die Wirtschaft hat das Potenzial von KI und Digitalisierung heute bereits erkannt, doch schöpft sie dieses noch bei Weitem nicht aus. Gleichzeitig zeichnet sich ab: erfolgreich ist der Einsatz neuer Technologien nur mit dem Fokus auf emotionale Intelligenz. Eine aktuelle Studie des Capgemini Research Instituts hat das reziproke Verhältnis von KI und EI untersucht. In elf Ländern wurden dafür 2.000 Angestellte und Manager befragt. Und der Titel sagt bereits alles: „Emotional intelligence – the essential skillset for the age of AI”.
Begriffserklärung: Was ist emotionale Intelligenz?
Der Begriff emotionale Intelligenz ist vergleichsweise jung. 1990 wurde er von den Psychologen Mayer und Salovey (Hampshire und Yale) eingeführt. Anders als der Begriff nahelegt, handelt es sich um eine Erweiterung – und keinen Gegensatz – des klassischen Begriffs der Intelligenz. Mayer und Salovey unterteilen ihr Konzept in: Wahrnehmung, Nutzung, Verstehen und Beeinflussung von Emotionen. Später gliederte die Wissenschaft weiter auf in Selbsterkenntnis, Selbstregulierung und Organisation, Empathie sowie soziale Kompetenz. Worum geht’s nun also? Um die Fähigkeit, mit eigenen und mit fremden Gefühlen umzugehen. Wofür ist das gut? Kurz: Keine Kommunikation ohne Emotionen. Weswegen das Thema gerade Führungspositionen sehr beschäftigt. Z.B. bei der Motivation von Mitarbeitern.
EI wird Must-have-Skill
Technologische Innovationen sind für uns alle nur wertvoll, wenn es Visionäre gibt, die den Nutzen darin erkennen – und diese Motivation mit anderen Menschen teilen können. Das eben ist emotionale Intelligenz. Je mehr künstliche Intelligenz und weitere Automatisierungen sich im Berufsleben durchsetzen, umso wichtiger wird auf der anderen Seite emotionale Intelligenz. Der Anteil physisch-mechanischer, „händischer“ Fähigkeiten nimmt ab. Zunehmen wird dagegen der Prozentsatz technologischer Skills wie IT-Kenntnisse – aber eben auch der Anteil gefragter sozialer und emotionaler Fähigkeiten. EI steigt auf vom Soft Skill zum Must-Have. So die mehrheitliche Meinung der befragten Führungskräfte in der Capgemini-Studie: Die Nachfrage nach EI-Skills bei Mitarbeitern werde Umfragen zufolge bis circa 2026 um das Sechsfache steigen.
Job Shift durch Automatisierung
Face the truth: Durch KI werden viele Jobs automatisiert – und wegfallen. Auf der anderen Seite führt die Entwicklung zu vielen komplett neuen Positionen. Emotionale Intelligenz ist hier eine Kernkompetenz, die sich Angestellte bei diesem Wandel bewusst machen sollten. Viele neue Jobs werden in den Bereichen des (gehobenen) Kundenservice entstehen, bzw. allgemein soziale Kompetenz voraussetzen.
Der Skill shift – was die Chefs erwarten …
Im Ländervergleich zeigt der Capgemini Digital Report, dass eine deutliche Mehrheit der Führungskräfte davon überzeugt ist, dass EI aufgrund zunehmender Automatisierung generell zum Must-Have-Skill wird – vor allem in Indien, China und den USA. Diese Sichtweise teilen Executives in den europäischen Ländern – nur in Deutschland sind mit knapp der Hälfte erstaunlich wenig Chefs bislang von diesem Wandel überzeugt.
… was Mitarbeiter davon halten …
Was denken dagegen die Angestellten? Auch hier schätzen Mitarbeitende – vor allem in China und Indien – die zunehmende Bedeutung emotionaler Intelligenz ebenfalls nahezu gleich ein wie das Management. Im gesamten Durchschnitt liegen die Zahlen jedoch unter denen der Executives. Deutschland liegt hier auch im Mittelfeld. Nur in den USA sehen die Angestellten EI demnächst noch nicht als Must-have-skill – ganz anders als ihre Chefs. Immerhin, das Bewusstsein wächst: Laut Capgemini-Studie ist in den letzten zwei Jahren die Befürchtung, das eigene Skill-set werde bald durch KI überflüssig, um zehn Prozent gestiegen.
… und was die Millenials & Co. denken
Während ältere Berufstätige noch ein solides Vertrauen in die Nachfrage nach den eigenen Fähigkeiten haben, blicken vor allem Jüngere weniger optimistisch in die Zukunft. Vor allem die Generationen X und Y sieht in den eigenen Skills keine guten Chancen. Etwa 50 Prozent der 20-30jährigen hält seine Qualifikationen entweder schon heute, jedoch spätestens in drei Jahren für überflüssig. Dementsprechend groß ist die Bereitschaft (jüngerer) Angestellter, auf Basis von Arbeitgeber-Feedback am eigenen EI-Skill-set zu arbeiten. Traurig in diesem Zusammenhang: Weniger als ein Drittel der befragten Unternehmen gibt den Mitarbeitern dieses Feedback.
Wandel nach Branchen
In welchen Branchen wird die Automatisierung laut Umfragen in den kommenden Jahren zu den stärksten Nachfragen nach EI als unverzichtbare Fähigkeit führen? Weit vorn liegt die Versicherungsbranche mit einer Steigerung um deutlich mehr das Sechsfache, gefolgt von Private Banking, Auto, Einzelhandel und Versorgung. In der Finanzbranche ist laut der McKinsey Studie „Skill shift – Automation and the future of the workforce“ mit der zunehmenden Automatisierung von Verwaltungstätigkeiten zu rechnen. Im Handel wird das Bild dagegen differenzierter ausfallen: hier sollte sich die Automatisierung in der Administration durchsetzen, während der Kundenkontakt – also soziale Interaktion – natürlich immer mehr Bedeutung erhält.
Was ändert sich in der Beratung?
Der „Skill shift“ ist essenziell, damit Projekte in der Digitalisierung beim Kunden zum Erfolg werden. Unternehmen brauchen Hilfe, um emotionale Intelligenz und soziale Kompetenzen als feste Größen in den Arbeitsalltag zu integrieren. Sei es z.B., um die oben beschriebene Diskrepanz zwischen offenem Mindset bei den Mitarbeitern und dem fehlenden Feedback beim EI-Faktor auf Unternehmerseite zu minimieren. Zudem geht es ums Big Picture. Automatisierung und der Verlust von Arbeitsplätzen führt zu gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Risiken: Menschen werden unzufrieden, Krankheiten und Unruhen florieren. Dabei kann die Rechnung einfach sein: Rechner lösen Aufgaben – Menschen sind erfinderisch. Unternehmens- oder Politikberatung zeigen hier den Weg: Kreative Fähigkeiten sind lebensnotwendig.
Investment EI zahlt sich aus
Hier geht es nicht um disruptive Veränderung, sondern um ein smartes Add-on bestehender Abläufe: Bei Recruiting und internen Weiterbildungen, aber auch beim Talent Management und der Wahl von Technologien spielt der EI-Faktor in Zukunft eine Rolle. Lohnt sich das überhaupt? Aber hallo. Zum Beispiel weil emotionale Intelligenz die Produktivität erhöht, weil Ermüdungserscheinungen verringert und die Mitarbeiterzufriedenheit erhöht werden. Und das zahlt sich aus: Der Capgemini Digital Report rechnet sogar mit der doppelten Rendite für das Investment in EI über einen Zeitraum von drei Jahren.
Was ändert sich für Berater?
Programmier- und Analysefähigkeiten bringst du als Consultant selbstverständlich mit. Der Arbeitsanteil, der technisches Wissen voraussetzt, wird weiter stark steigen. Aber: Kreative und soziale Fähigkeiten ziehen prozentual nach. Was heißt das für angehende Consultants? Relevante und ertragreiche EI-Skills müssen identifiziert und hierzu gezieltes Training für alle Karrierestufen entwickelt werden. Mit anderen Worten: Digitalisierung und KI sind nicht der Zweck, sondern lediglich ein Tool. Consulting wäre nicht Consulting, wenn es hier nicht um die effizienteste Lösung ginge – und darum, sich täglich neu zu erfinden. Dabei führt der Weg unweigerlich auch weg von den klassischen hierarchischen Strukturen, hin zu vernetztem Agieren.
„Was ein andauernder Veränderungsprozess ist, ist sicherlich, dass man Kandidaten noch stärker darauf auswählt, ob sie auch die Möglichkeit haben, mit Unsicherheit, mit Ungewissheit, mit Innovationen, mit neuen Technologien umzugehen und weiterhin diese richtige Balance zwischen analytischer Stärke und Empathie und Kommunikationsfähigkeit zu finden. Denn gerade aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung ist es umso wichtiger, dass man als Berater ein Mensch ist und bleibt. Und darüber letztendlich auch bei den Kunden Vertrauen aufbaut. Dass man jemand ist, der den Kunden gerade in dieser technologisch zunehmenden Welt einen Kompass bietet.“
Kein „Mensch gegen Maschine“
Zuletzt noch die gute Nachricht: Keine Zeit zum Fürchten. Wir wissen: Emotionale Intelligenz ist kein Gegensatz zum klassischen Intelligenzbegriff – die Grenzen sind, wenn sie überhaupt existieren: fließend. Also ergibt sich auch kein Zweikampf von „Roboter gegen Wrestler“, Mensch gegen Maschine oder eben – EI versus KI. Zwar ist die Verunsicherung durch Automatisierung und KI groß und berechtigt. Mit dem richtigen, menschlichen Rüstzeug wie der Investition in den Faktor EI sind Unternehmen und Mitarbeiter heute jedoch in der Lage, wirtschaftlichen Vorsprung zu sichern.