Axel Neumann-Giesen, Partner bei CTcon, schaut zusammen mit seiner Kollegin Julia Cedrati, Head of Recruiting & Employer Branding, zurück auf mehr als 20 Jahre Consulting.
Axel Neumann-Giesen ist 1998 bei CTcon eingestiegen und heute Partner des Unternehmens. Der Diplom-Kaufmann hat in Deutschland und den USA Betriebswirtschaftslehre studiert.
Julia Cedrati ist seit 2015 bei CTcon und dort für Recruiting & Employer Branding verantwortlich. Sie hat in Deutschland und den Niederlanden International Business studiert und mit dem Master abgeschlossen.
Julia: Axel, SQUEAKER, für uns seit vielen Jahren wichtiger Partner im Recruiting, hat uns die Möglichkeit gegeben, in der Ausgabe zum 20. Jubiläum zu erscheinen. Hast du Lust, gemeinsam einmal die letzten 20 Jahre in der Beratung Revue passieren zu lassen?
Axel: Ja klar, sehr gerne.
Julia: Wie lang bist du heute eigentlich genau bei CTcon? Das ist ja vielleicht eine ganz interessante Information in dem Kontext 😉
Axel: Mein erster Tag war der 15.4.1998, also bin ich jetzt bald 24 Jahre dabei.
Julia: Ach, sehr gut, dann hast du die 20 Jahre ja auf jeden Fall voll und bist qualifiziert, diesen Rückblick zu machen! Ich habe übrigens auch an einem 15. bei CTcon angefangen, das ist aber erst 6 Jahre her…
Julia: Wenn du heute zurückblickst auf diese Zeit, was hat sich für dich am stärksten in der Beratung verändert?
Axel: Sehr kurzfristig ist Corona natürlich präsent. Die Art und Weise, wie man in den letzten 1,5 Jahren Beratung macht, hat sich erheblich verändert, aber das gilt ehrlicherweise auch schon ein Stück weit für die Jahre davor. Dadurch, dass Kunden vor 20 Jahren oft stationärer organisiert waren, konnte man beim Kunden vor Ort viel mehr auch an deren Abläufen teilhaben, angefangen beim gemeinsamen Mittagessen. Heute sind Kundenunternehmen viel verteilter, arbeiten internationaler, teilweise in rein virtuellen Teams. Da geht dann automatisch ein Stück weit die persönliche Interaktion verloren, was herausfordernd ist und wir anderweitig versuchen müssen aufzufangen. Andererseits sind wir durch den immer höheren Anteil von Remote-Zusammenarbeit oft auch noch effizienter und zielgerichteter unterwegs, was positiv ist. Viel einfacher kann man zudem jemanden zu einem Call hinzunehmen, egal wo die Person sich gerade befindet. Beratung ist nach wie vor ein People Business. Das muss man in jeder Konstellation der Zusammenarbeit beachten und an der professionellen Beziehung zum Gesprächspartner arbeiten.
Julia: Ja, das ist absolut nachvollziehbar und hat sicherlich in den letzten 1,5 Jahren noch einmal einen deutlichen Schub bekommen. Das sehe ich ja auch in meinem Arbeitsalltag.
Axel: Verändert hat sich aber auch, wie wir als Berater:innen mit den Kundenmitarbeiter:innen zusammenarbeiten. In meinen ersten Jahren sind diese oft direkt aus der Uni in ihre Unternehmen gekommen sind und dann dort auch geblieben bzw. haben sich dort entwickelt. Heute ist die Fluktuation zwischen Berufsstationen deutlich höher, da fällt auf, dass man häufig auf Leute trifft, die schon selbst als Berater gearbeitet haben, die das Beratungsbusiness und die Arbeitsweise kennen. Früher waren wir als Berater oft Exoten.
Julia: Für mich hört sich das so an, dass die Zusammenarbeit auf Kundenseite heute damit produktiver ist, weil man mit einem ähnlichen Mindset unterwegs ist, aber gleichzeitig auch herausfordernder, weil man sich verstärkt auf „Augenhöhe“ begegnet?
Axel: Es ist sicherlich herausfordernder, weil man sich auf mehr Augenhöhe, was Beratungserfahrung angeht, gefasst machen muss, es ist aber auch gleichzeitig zielführender, weil man einen ähnlichen Modus hat und z.B. Präsentationen im engen Dialog schnell zusammen durchgehen kann – da haben alle ähnliche Erfahrungshintergründe, wie man z.B. Storylines aufbaut. Dieses sind Aspekte, bei denen ich sagen würde, die haben sich mittelbar über die stärkere Durchlässigkeit zwischen Unternehmen und Berufsfeldern in den letzten 20 Jahren ergeben.
Ein Stück weit fehlt heute die inhaltliche Tiefe, auf der anderen Seite ist aber die Readiness höher.
Julia: Wir haben ja den Aspekt der Digitalisierung und welche Auswirkungen dadurch für die Zusammenarbeit entstehen, schon angerissen. Wie sah denn damals dein klassischer Projektalltag ohne unsere ganzen heutigen Tools aus? Wie habt ihr damals gearbeitet?
Axel: Wir haben sicherlich deutlich mehr zusammen im Team vor Ort gearbeitet in unseren Büros – E-Mail war da noch ein alternativer Kommunikationskanal neben anderen und gebunden an den Standrechner, bei weitem war die Mail kein Standard, der „unterwegs“ vom Smartphone genutzt wurde. Zudem haben wir häufig 1 bis 2 Tage vor unserem gemeinsamen Termin noch vorab ein Fax an den Kunden geschickt mit der Unterlage im Entwurf. Bei vertraulichen Inhalten musste man durch telefonische Absprache auch noch dafür sorgen, dass die Unterlage nicht offen im Zielgerät lag. Dann war da natürlich die Arbeit mit echten Folien. Heute heißen die zwar noch so, damals waren es aber noch echte Folien. Da musste man für die Fertigstellung von Präsentationen immer noch die Zeit des Foliendrucks inklusive der technischen Schwierigkeiten einplanen. Also eine ganze Menge handwerkliche Dinge, die heute wirklich anachronistisch wirken. Dadurch konnte man auf dem Weg zum Kunden auch nicht mehr den letzten Schliff machen. Es gab also kaum Möglichkeiten, nochmal eine Zahl nachträglich zu korrigieren, denn das fiel handschriftlich mit Folienstift natürlich sofort auf. Vielleicht war der Erziehungseffekt aber auch gar nicht schlecht, denn man war gezwungen, die Themen im Vorfeld früher klar zu durchdenken und abzuschließen. Vorteil war auch, dass man nur einen Overheadprojektor brauchte und dann funktionierte das Präsentieren. Es gab zwischendurch ja auch eine Zeit, in der die Kompatibilität von Beamern und Laptops eine Herausforderung war und zum „Zittern“ vor jeder Präsentation führte. Heute ist das Thema Medienkompatibilität kein so großes Problem mehr.
Julia: Stimmt, die guten alten Folien! Die kenne ich auch noch aus Schulzeiten – viele von unseren jungen Kollegen können sich da bestimmt gar nicht mehr dran erinnern…
Julia: Wir haben mit Corona schon eine Krise thematisiert, aber es gab in den letzten 20 Jahren ja immer wieder Krisen, die Auswirkungen auf das Business hatten…
Axel: Ja in der Tat, das Jahr 2000, New Economy Boom und der darauffolgende Einschnitt. Dann gab es nach 9/11 einen Rückschlag, was jetzt ziemlich genau 20 Jahre her ist. Daran erinnere ich mich sehr genau. Wahrscheinlich war der Effekt nicht so nachhaltig, wie die aktuelle Situation, aber das hat schon auch eine gewisse Eruption mit sich gebracht, weil das eine neue Situation war, die sich u.a. auf das Reisen ausgewirkt hat und damit auf ein Medium, was wir Berater damals massiv in Anspruch genommen haben. Eine weitere Krise war sicherlich die Finanzkrise, die zu radikalen Anpassungs- und Überlebensmaßnahmen in der Branche geführt hat. Je nachdem, mit welchem Schwerpunkt man unterwegs war, folgten unterschiedliche Handlungsweisen. Da hat die Spezialisierung von Beratungen, bspw. in Restrukturierung und Performance-Steuerung, häufig geholfen. Es hängt wie so oft davon ab, wie eine Beratung inhaltlich aufgestellt ist. Was sich durchgezogen hat, ist, dass die Beratung als People Business sich in Krisen mit Personalanpassung auseinandersetzen musste. Wir als mittelgroße Beratung konnten da rückblickend ein großes Maß an Kontinuität des Handelns halten. Und ich denke, Mitarbeiter:innen beobachten sehr genau, welche Kultur im Unternehmen herrscht und wie man mit den „Auf und Abs“ umgeht, d.h. wie man notwendige unternehmerische Entscheidungen und Verantwortung für das Team zusammenbringt.
Julia: Apropos People, wenn du zurückschaust, unterscheiden sich unsere Kandidatenprofile heute maßgeblich von den Anforderungen von früher?
Axel: Ich glaube, man hat früher noch mehr auf Analytik und fachliche Fundierung geblickt und schaut heute noch stärker auf kulturelle Variabilität und Erfahrungsbreite, was ein Stück weit wahrscheinlich auch mit der Art der heutigen Ausbildung zu tun hat. Heute bringt ein:e hochqualifizierte:r Bewerber:in in der Beratung typischerweise 3-4 Praktika bzw. Werkstudentenstationen mit und hat einen Teil der Erfahrungen im Ausland gesammelt. Das war vor 20 Jahren eine riesige Ausnahme. Die allermeisten haben damals ein klassisches Diplom-Studium an einer Uni gemacht und ein Praktikum im heimatnahen Umfeld, um das mal ein bisschen zu pointieren. Ein Stück weit fehlt heute vielleicht die inhaltliche Tiefe in mancher Hinsicht, auf der anderen Seite ist aber die Readiness höher, weil die meisten einfach höhere Praxis-Berührungspunkte haben. Bei Absolventen beobachte ich heute zusätzlich, dass die Fähigkeit und Fertigkeit, mit Daten umzugehen, deutlich stärker entwickelt ist, auch wenn man nicht Data Scientist bzw. Informatiker ist. Das ist eine sehr positive Entwicklung im Hinblick auf die Talente, die wir auch zukünftig suchen.
Julia: Das kann ich absolut bestätigen. Ich habe mit vielen Kandidat:innen zu tun, die auch als klassische BWLer:innen zunehmend fit im Umgang mit Datenanalysen sind, entweder als Teil ihrer normalen Ausbildung oder als Weiterbildung in Eigenregie über viele digitale und niedrigschwellige Bildungsangebote in dem Bereich. Das ist wirklich eine positive Entwicklung.
Julia: Fällt Dir zum Abschluss sonst noch etwas ein, was anders geworden ist?
Axel: Klar, heute kann ich das Tragen einer Krawatte pro Jahr in etwa an einer Hand abzählen, vor 20 Jahren war es für mich und in der Branche normal, als männlicher Berater im Dreiteiler mit Weste und Krawatte beim Kunden aufzutreten. Da bin ich froh, dass die Zeiten nun dahingehend einfacher sind.
Julia: Vielen Dank für diese kleine Zeitreise, Axel!