Die Oliver Wyman-Studie „Purchasing Best Practice Benchmarking“ zeigt, dass deutsche Einkaufschefs klare Defizite in ihren Organisationen sehen und Verbesserungen einzelner Einkaufsbereiche gezielter koordiniert werden müssen.
In vielen deutschen Unternehmen wird die Bedeutung des Einkaufs nach wie vor unterschätzt. Oftmals suboptimal aufgestellt, bleibt ein hohes Maß an Einsparungen ungenutzt. Für die nachhaltige Steigerung der Leistungsfähigkeit von Einkaufsabteilungen müssen neben der ganzheitlichen Betrachtung aller relevanten Dimensionen vor allem diejenigen Parameter identifiziert werden, die das höchste Verbesserungspotenzial aufweisen. Darüber hinaus sollte der Einkauf auf Vorstandsbeziehungsweise Geschäftsführungsebene angesiedelt sein. Was unterentwickelte Einkaufsorganisationen von den Besten lernen können, hat Oliver Wyman im Rahmen seiner Studie „Purchasing Best Practice Benchmarking“ ermittelt.
Rund 35 Milliarden Euro haben produzierende Unternehmen in Deutschland in den vergangenen zwölf Monaten mangels leistungsfähiger Einkaufsorganisationen verschenkt. Auch Einkaufschefs selbst sehen klare Defizite in ihrem Bereich. So bewerten fast zwei Drittel der von Oliver Wyman befragten Einkaufsleiter ihre Abteilung als unterentwickelt. Lediglich 14 Prozent sind mit der Leistungsfähigkeit zufrieden. Darüber hinaus ergibt die Studie, dass Low- Performer weniger als die Hälfte ihres Einkaufsvolumens regelmäßig auf Möglichkeiten zur Kostensenkung prüfen und optimieren und hieraus auch nur halb so viele Einsparungen erzielen wie Top-Performer. „Diese Unternehmen lassen viel Geld liegen“, sagt Christian Heiss, Partner bei Oliver Wyman. „Ein leistungsfähigerer Einkauf könnte das Vierfache seiner bisherigen Einsparungen realisieren.“ Die zusätzlich verfügbaren Mittel würden den Unternehmen deutlich mehr Spielraum bescheren. Bei den Low-Performern ließen sich so etwa das Ergebnis oder die Budgets für Forschung und Entwicklung um mehr als 25 Prozent steigern. Alternativ könnten Lohnerhöhungen von knapp sieben Prozent abgefedert werden.
Einzelprojekte reichen im Einkauf nicht aus
Die Gründe für den hohen Anteil unterentwickelter Einkaufsorganisationen sind vielfältig. So ist der Einkauf in Deutschland nach wie vor oft unterbewertet. Er kommt in vielen Unternehmen gemessen an Forschung und Entwicklung, Produktion oder Vertrieb, die durchweg hohe Priorität genießen, erst an zweiter Stelle. Entsprechend sind im Vergleich zu Entwicklungsoder Produktionschefs bislang nur wenige Einkaufsleiter zum CEO ernannt worden. Auch existiert häufig kein eigenständiges Vorstandsressort Einkauf. Die Oliver Wyman-Studie zeigt, dass selbst in Unternehmen mit geringer eigener Wertschöpfung die Einkaufsorganisationen einen niedrigen Reifegrad aufweisen. Dabei verantworten sie aufgrund des hohen Anteils an Zukäufen den weitaus größten Kostenblock im Unternehmen. „Dass der Einkauf immense Bedeutung für den Unternehmenserfolg hat, bleibt noch immer weitgehend unberücksichtigt“, 2 sagt Tobias Sitte, Associate Partner bei Oliver Wyman. „Oft wird er lediglich als ausführendes Organ gesehen, statt ihn als wesentlichen Ergebnistreiber aufzuwerten.“
In vielen Unternehmen stehen die Einkaufsabteilungen nur in Krisenzeiten im Fokus. Zwar tragen sie dann wesentlich dazu bei, geforderte Einsparungen schnell zu realisieren, doch handelt es sich dabei in der Regel um Einzelaktionen, die unter hohem Zeitdruck stattfinden und lediglich zu punktuellen Verbesserungen führen. Hinzu kommt, dass viele Einkaufsabteilungen historisch entlang wechselnder Anforderungen gewachsen sind. So gibt es beispielsweise kaum klare Vorgaben hinsichtlich der Fähigkeiten, die ein guter Einkäufer mitbringen muss.
Nur wenige Einkaufsorganisationen haben heute in ihrem Bereich die nötige Transparenz, um signifikante Verbesserungen zu realisieren. Während in der Produktion Kenngrößen wie Durchlaufquoten, Ausschuss oder Maschinenauslastungen Aufschluss darüber geben, wo Optimierungspotenzial besteht, gestaltet sich dies im Einkauf schwieriger. Das Benchmarking von Oliver Wyman zeigt zum einen, dass Unternehmen, die ihr Einkaufsvolumen nur zu einem geringen Anteil durch regelmäßige Optimierungsprojekte adressieren, häufig Schwächen in den Kategorien Organisation und Prozesse haben. Zum anderen müssen Unternehmen, die mit den durchgeführten Verbesserungsmaßnahmen zu geringe Einsparungen realisieren, sich vor allem in den Bereichen Organisation sowie Systeme und Tools steigern.
Kleine Ursachen große Wirkung
Von den Top-Performern zu lernen heißt, Einkaufsabteilungen ganzheitlich entlang aller relevanten Dimensionen – Strategie, Mitarbeiter, Organisation, Prozesse, Systeme – zu betrachten und weiterzuentwickeln. „Der Einkauf muss als Ganzes zusammenspielen“, so Sitte. „Um ein maximales Ergebnis zu erzielen, gilt es Verbesserungen in den einzelnen Bereichen systematisch aufeinander abzustimmen.“ Mitarbeiter in neuen Tools zu schulen, mit denen mehr Transparenz bei Lieferantenangeboten entsteht, nutzt nur, wenn das IT-System die für die Analysen benötigten Daten auch zur Verfügung stellt. Die Transparenz wiederum bleibt ohne Wirkung, wenn die Einkäufer diese in Verhandlungen nicht geschickt nutzen. Und eine sauber definierte Low-Cost-Country-Einkaufsstrategie macht nur dann Sinn, wenn sie auch von Einkäufern mit Leben gefüllt werden kann, die gut genug Englisch sprechen.
Deshalb müssen die jeweiligen Schwächen im Detail ermittelt und systematisch ausgewertet werden. Steht fest, an welchen Stellen der größte Nachholbedarf besteht, lässt sich in der Regel mit wenig Aufwand schnell eine deutliche Steigerung der Gesamtperformance erzielen. Dazu gehört beispielsweise, den Einkauf frühzeitig in die Produktentwicklung einzubeziehen. Auf diese Weise können seine kommerziellen Möglichkeiten weitaus besser ausgeschöpft werden. Zeiten wirtschaftlicher Stabilität müssen konsequent dazu genutzt werden, um über die optimale Organisation und Aufstellung der Einkaufsabteilung nachzudenken, Prozesse gezielt weiterzuentwickeln und den Einkauf dadurch nachhaltig auf bessere Ergebnisse auszurichten. „Es geht nicht darum, den Einkauf neu zu erfinden“, betont Berater Heiss. „Häufig muss nur an kleinen Rädchen gedreht werden, um enorme Wirkung zu erzielen.“
Die Studie
Die Studie Im Rahmen des „Purchasing Best Practice Benchmarking“ hat Oliver Wyman untersucht, welchen Einfluss der Reifegrad von Einkaufsorganisationen auf deren Leistungsfähigkeit hat. Entlang der Dimensionen Strategie, Mitarbeiter, Organisation, Prozesse und Systeme wurde mithilfe eines umfangreichen Fragenkatalogs ermittelt, wie gut eine Einkaufsabteilung im Vergleich zu Unternehmen innerhalb, aber auch außerhalb der eigenen Branche aufgestellt ist. Im Anschluss wurde analysiert, wie sich ein hoher Reifegrad auf die erzielten Ergebnisse auswirkt. Befragt wurden rund 300 Einkaufsleiter produzierender Unternehmen in Deutschland.