Im Interview reflektieren Dr. Hans-Joachim Grabow (59, Senior Advisor bei Struktur Management Partner) und Maximilian Weiler (26, Consultant) die Beratung zur Jahrtausendwende.
Dr. Hans-Joachim Grabow ist seit fast 30 Jahren Turnaround-Manager bei Struktur Management
Partner und hat in seiner Karriere über 140 Organisationen in Umbruchsituationen unterstützt. Seine Schwerpunkte sind Strategie, Umsetzungs- und Change-Prozesse.
Maximilian Weiler ist als ambitionierter Absolvent der Universitäten Mainz und Frankfurt vor acht Monaten als Consultant bei Struktur Management Partner eingestiegen. Durch SQUEAKER wurde er auf Struktur Management Partner (SMP) aufmerksam, hat den Bewerbungsprozess erfolgreich gemeistert und bringt frische erste Eindrücke vom Berufseinstieg mit.
Dr. Grabow: Ich lerne seit 30 Jahren jedes Jahr junge und ambitionierte Absolvent:innen von erstklassigen Universitäten kennen – und es hat sich Einiges getan. Die Veränderungen haben sich in kleinen Schritten und kaum merklich vollzogen. Gerade deshalb freue ich mich darauf, mit Ihnen ein Blitzlicht auf die Vergangenheit zu werfen. Auf die Zeit der einfachen Dreisätze, verrauchten Besprechungsräume, aber auch die der Mystik und Klischees um Beratungen, Berater:innen und exklusive Tools, die es schon damals gab.
Max: Wie war damals Ihr Weg in die Beratung im Vergleich zu heute?
Dr. Grabow: Zufall. Also nicht die Art von gelenktem Zufall, die Sie heute als Zufall beschreiben würden: Jobbörsen, Karriereberatung, Webseiten, Youtube-Influencer, Kununu, Online-Foren, nationale und internationale Rankings. Nein. Bei mir war es Zufall im engeren Sinne. Ein befreundeter Wirtschaftsprüfer erzählte mir während meiner Jobsuche Anfang der 90er von zwei Typen, die eine Unternehmensberatung für Restrukturierung gegründet hätten: damals „Struktur & Management“. Bis zum Bewerbungsgespräch waren das so ziemlich die einzigen Informationen, die ich hatte: die Namen der Gründer, des Unternehmens und eine sehr vage Vorstellung davon, was ein Unternehmensberater so macht. Adresse und Telefonnummer habe ich bei der Post in einem überregionalen Telefonbuch recherchiert. Im Interview hatte ich zwei Stunden, mir persönlich ein Bild von den beiden Gründern und ihrem Beratungsansatz zu machen, und durfte mich zudem auf dem „Bewerberstuhl“ grillen lassen. Bis heute unvergessen die Antwort eines der Gründer auf meine blauäugige Frage, was man denn so als Berater beherrschen müsste. Er sagte, dass es schon hilfreich sei, wenn man den Dreisatz beherrsche und mit Messer und Gabel essen könne. Auf dieser Informationsbasis habe ich dann die Entscheidung getroffen, die die nächsten 30 Jahre meines Lebens geprägt hat. Und kaum zu glauben: es hat funktioniert! Deshalb habe ich in den späteren Bewerbungsgesprächen auch nicht so viel über Cases diskutiert, sondern gerne den Mindset der Bewerber unter die Lupe genommen. Einen jungen Kollegen mit Interesse für Geschichte habe ich z. B. Ende der 90er Jahre auch deshalb eingestellt, weil er mir im Bewerbergespräch spontan und glasklar darlegen konnte, inwiefern der Vertrag von Versailles dem Ausbruch des zweiten Weltkriegs Vorschub geleistet hat. Heute ist er Managing Partner bei uns.
Max: Heutzutage sind Themen wie Digitalisierung oder auch Nachhaltigkeit von zentraler Bedeutung. Welche Themen und Herausforderungen waren zu Ihrer Zeit als Einsteiger aktuell?
Dr. Grabow: Auch zu der Zeit gab es immer wieder neue Methoden oder „Moden“, die jeweils gerade im Fokus standen. Ein aufkommendes Thema war damals das Re-Engineering, das darauf abzielte, auf Basis von Daten Prozesse effektiver zu gestalten. Man könnte das auch als Beginn der Digitalisierung bezeichnen, nur dass es damals im Mittelstand weder Daten gab noch die Möglichkeit, diese auszuwerten. Ein zweites wichtiges Thema war die neu aufkommende Unternehmensbewertung. Zudem entstanden im Rahmen des wissenschaftlichen Management-Diskurses die Anfänge der Balanced Scorecard, und Kotter thematisierte Ende der 90er Jahre erstmals Fragen zum Change Management. Die Themen sind noch gar nicht so alt und so reif, wie sie Ihnen erscheinen mögen.
Die Themen sind noch gar nicht so alt und so reif, wie sie Ihnen erscheinen mögen.
Max: Wie war damals denn die technische Umsetzung in den Projekten? Waren PowerPoint und Excel schon im Einsatz?
Dr. Grabow: Es gab erste Grafik-Programme, mit denen aber auch nur die Grafiker umgehen konnten. Wir haben auf Papier gemalt, an professionelle Grafiker gefaxt und die Grafiken dann per Fax oder Kurier zurückerhalten. So kostete jede Korrekturschleife 3-4 Tage. Und auch mit Excel war es anders: eine Datenmenge mit 1.000 Datenpunkten war „komplex“ und „riesig“. Wir mussten zum Teil Externe beauftragen, die Daten aus den „riesigen“ Datenbanken extrahieren konnten. Wenn dabei die falschen Daten herauskamen (was wir häufig erst gemerkt haben, nachdem wir die ersten Analysen erstellt und plausibilisiert hatten), ging der Spaß von vorne los. Auch die Verarbeitung war sehr zeitaufwändig: Eine einfache Formel über ein paar Tausend Zeilen hat gerne ein bis zwei Stunden gerechnet – ohne die regelmäßigen Abstürze von Excel. Das passierte damals sehr häufig und hat mich als Nicht-Excel-Experten ziemlich genervt, da in Folge „…version283.xls“ keine Seltenheit für eine einfache Analyse war.
Max: Wie hat sich das Thema der Work-Life-Balance entwickelt?
Dr. Grabow: Work-Life-Balance? Anfang der 90er war das ein Fremdwort. Zum Jahrtausendwechsel war es zwar bekannt, aber nicht wirklich salonfähig. Nacht- und Wochenendarbeit war nicht Ausnahme, sondern Regel. Themen wie Familie und Hobbies waren weit, weit weg – typischerweise war damit auch die Verweildauer in Beratungen mit zwei bis vier Jahren sehr kurz. Es wurde gearbeitet, bis man fertig war – im engeren Sinne. Das hat sich, zumindest bei uns, um 2010 herum langsam gedreht und dann vor fünf, sechs Jahren sehr dynamisch und grundlegend verändert. Drei wenige und einfache Einsichten haben dazu geführt. Erstens: Müdigkeit verschlechtert die kognitiven Fähigkeiten sowie die Kommunikation und lässt den Willen erlahmen. Wirklich bahnbrechende Ergebnisse erzielen wir ausgeschlafen und positiv aufgeladen. Zweitens: Wir investieren unheimlich viel in die Ausbildung und in die Entwicklung unserer Kollegen. Es war schlichtweg unproduktiv, sie gehen zu lassen, sobald wir nach drei bis vier Jahren mit ihrer Ausbildung annähernd fertig waren. Und drittens: Das Leben ist zu wertvoll und zu kurz, um es in einem Umfeld von negativem Stress zu verbringen. Ja, Diamanten benötigen für ihre Entstehung auch Druck. Doch wir laden ihn inzwischen positiv auf. Das ist für alle Beteiligten wertvoller und effektiver. Diese Einsicht haben einige Unternehmen bis heute noch nicht – doch werden sie zunehmend von der jungen Generation dafür zurecht abgestraft.
Das Leben ist zu wertvoll, um es in einem Umfeld von negativem Stress zu verbringen. Ja, Diamanten benötigen für ihre Entstehung auch Druck. Doch wir laden ihn inzwischen positiv auf.
Max: Wenn Sie die vergangenen 20 Jahre Revue passieren lassen, was würden Sie sagen, ist Ihr größtes Learning gewesen?
Dr. Grabow: In der Universität erhalten wir zu viele, zu tiefe praxisferne Einblicke in die scheinbar unendlichen Fachbereiche der BWL und Managementlehre. Daraus resultiert, dass diese Ausbildung oft eine anspruchsvolle, aber wilde Ansammlung von detaillierten Puzzlestücken ist. Als Master haben wir dann den Stempel des Experten, doch das Gefühl, Laie zu sein. Dieses Gefühl passt. Die Kunst besteht darin, zu lernen, diese Puzzlestücke zu einem konsistenten Ganzen zusammenzusetzen. Denn: Richtiger, aber schwieriger ist es, Unternehmen als kontextbezogene, ökonomische soziale Systeme zu verstehen. Die letzten 30 Jahre haben mich daher viel über die Wechselwirkungen zwischen Finanzen, Geschäftsmodell und Führung gelehrt und ich lerne immer noch täglich dazu. Mein größtes Learning dauert immer noch an.
Max: Wenn Sie die Zeit vergleichen: Was würden Sie sagen, hat sich am stärksten verändert?
Dr. Grabow: Sicherlich eine ganze Menge: Die datengetriebene Analyse, die ganzheitliche Betrachtungsweise von Geschäfts- und Managementmodellen, insbesondere aber auch die zunehmende Bedeutung des Change Managements und der Erwartungen der Stakeholder. Von Bedeutung ist sicherlich auch der Kulturwandel in der Beratung selbst und Covid-19-bedingt die neuen Formen der Remote-Kommunikation. Einfacher ist es da, das zu benennen, was sich nicht verändert hat: der Wunsch und die Möglichkeit, Unternehmen und Menschen in schwierigen Situationen zu unterstützen, der Zusammenhalt unter den Kollegen, das Streben nach bestmöglichen Lösungen und Methoden – und, last but not least, mein Taxifahrer zum Flughafen.